Dienstag, 15. Dezember 2009

Literatur-Nobelpreis für Herta Müller


-Sie hat wirklich eine Geschichte zu erzählen



Der Nobelpreis für Literatur geht in diesem Jahr an die in Rumänien geborene Deutsche Herta Müller. Das teilte die Königlich-Schwedische Akademie in Stockholm mit. Sie begründete ihre Auswahl unter anderem mit der Reinheit der Dichtung, die Müllers Werken innewohne. Müller zeichne "mittels der Verdichtung der Poesie und der Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit".

"Als ich ihre Bücher gelesen habe, hat mich das innerlich erschüttert", sagte der Chef der Nobelpreis-Akademie, Peter Englund. Müller schreibe "völlig ehrlich, mit einer unglaublichen Intensität. Sie schreibt auch als jemand aus einer Minderheit, völlig ohne Rücksicht auf sich selbst". Müller habe "wirklich eine Geschichte zu erzählen." Auf den Anruf aus Stockholm habe sie "überglücklich" reagiert, sagte Englund.

Dossier:
Literatur-Nobelpreis für Herta Müller




Ein ARD.de-Spezial über die Autorin, ihr Werk und die früheren Preisträger [kultur]

"Gelacht und geweint"
Eine Sprecherin des Carl Hanser Verlags sagte, die Schriftstellerin sei von ihrer Auszeichnung mit dem Literatur-Nobelpreis überrascht worden. In einem Telefonat habe Müller gesagt, sie könne das Ganze gar nicht glauben, sagte die Verlagssprecherin, bei dem Müllers aktuelles Buch "Atemschaukel" erschienen ist. Am Telefon habe die Schriftstellerin "gelacht und geweint".

Die Schriftstellerin lebt in Berlin. Sie wurde am 17. August 1953 im rumänischen Nitzkydorf geboren. Ihre Eltern gehörten der dortigen deutschsprachigen Minderheit an. In ihrer Heimat mit einem Publikationsverbot belegt, verließ sie 1987 Rumänien und zog in die Bundesrepublik. Ihre Werke sind geprägt von ihren Erfahrungen im totalitären Ceausescu-Regime. Sie ist mit ihrem in diesem Jahr erschienenen Roman "Atemschaukel" auch für den Deutschen Buchpreis nominiert. Darin verarbeitet Müller das Schicksal eines 17-Jährigen Rumäniendeutschen, der im Zweiten Weltkrieg zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion deportiert wird. Auch Müllers Mutter wurde 1945 für fünf Jahre in ein Arbeitslager in die Sowjetunion deportiert.


Herta Müller erhält Nobelpreis für Literatur [EinsExtra]

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Kein Kommentar von Reich-Ranicki
Günter Grass reagierte sehr zufrieden auf die Entscheidung. Müller sei eine sehr gute Romanautorin, sagte der Literatur-Nobelpreisträger von 1999. Sein persönlicher Favorit in diesem Jahr sei der israelische Autor Amos Oz gewesen.

Der Spitzenverband der deutschen Buchbranche reagierte mit "uneingeschränkter und riesiger Freude" auf Müllers Auszeichnung. "Sie ist eine der größten Stimmen, die wir haben. Kräftig und fein", sagte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gratulierte der in Berlin lebenden Nobel-Preisträgerin "zu diesem einzigartigen Erfolg".

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki lehnte hingegen einen Kommentar ab: "Ich will nicht über die Herta Müller reden. Adieu", sagte er in einem Telefongespräch.

Im Jahr 1987 nach Deutschland ausgewandert

[Bildunterschrift: Nitzkydorf, der Ort in Rumänien, in dem Herta Müller aufwuchs. ]
Große Freude herrschte auch in dem kleinen Ort Nitzkydorf im Westen Rumäniens, dem Heimatdorf der deutschen Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller. Bürgermeister Ioan Mascovescu sagte der Nachrichtenagentur AFP, er sei "glücklich", dass mit Müller eine aus Nitzkydorf stammende Autorin die begehrte Auszeichnung erhalte - auch wenn sie nicht mehr dort lebe. Herta Müller war 1987 mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Richard Wagner, nach Deutschland ausgewandert.

Noch wenige Tage vor der Zuerkennung des Nobelpreises hatte sich Herta Müller äußerst skeptisch über ihre Chancen geäußert. "Ich glaube nicht daran. Ins Gespräch kommt man ja immer, aber das machen die dieses Jahr nicht", sagte sie. "Aber ich bin kein Star und mag auch nicht in die Öffentlichkeit gezerrt werden."

Deutschsprachige Literaturnobelpreisträger:

1902 Theodor Mommsen
1908 Rudolph Eucken
1910 Paul Heyse
1912 Gerhart Hauptmann
1919 Carl Spitteler (Schweiz)
1929 Thomas Mann
1946 Hermann Hesse (Schweiz)
1966 Nelly Sachs (schwedisches Exil)
1972 Heinrich Böll
1981 Elias Canetti (Bulgarien)
1999 Günter Grass
2004 Elfriede Jelinek (Österreich)
2009 Herta Müller


Zwölfte Preisträgerin in der 109-jährigen Nobelpreis-Geschichte




Müller ist erst die zwölfte Frau, die den 1901 erstmals verliehenen Literatur-Nobelpreis erhalten hat. Sie erhielt bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kleist-Preis, den Joseph-Breitbach-Preis, den Würth-Preis für Europäische Literatur und 2006 den Walter-Hasenclever-Literaturpreis. Seit 1995 ist sie Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Letzter deutscher Literatur-Nobelpreisträger war bislang Günter Grass im Jahr 1999.

Die Auszeichnung ist mit umgerechnet rund 970.000 Euro dotiert und wird am 10. Dezember in Stockholm verliehen. In dieser Woche waren bereits die Empfänger der Nobelpreise für Chemie, Physik und Medizin bekanntgegeben worden. Am Freitag folgt der Friedensnobelpreis. Den Abschluss bildet am Montag die Auszeichnung für Wirtschaft.

Werke von Herta Müller:
Die Werke der deutschen Autorin sind hauptsächlich geprägt von ihren Erfahrungen im totalitären System des rumänischen Ceausescu-Regimes.

Wichtige Werke sind die Erzählungbände "Niederungen" (1984), "Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt" (1986) und "Barfüßiger Februar" (1987).

Vier Romane sind von Müller erschienen: "Der Fuchs war damals schon der Jäger" (1992), "Herztier" (1994), "Heute wär ich mir lieber nicht begegnet" (1997) und "Atemschaukel" (2009).

Müller verfasste auch die Essay-Sammlungen "Der fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne" (1999), "Der Teufel sitzt im Spiegel" (1991), "Hunger und Seide" (1995) und "Der König verneigt sich und tötet" (2003).

ARD.de-Spezial: Literatur-Nobelpreis für Herta Müller [kultur]
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Chemie-Nobelpreis: Zellforscher erklären Eiweißfabrik (07.10.2009)
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Physik-Nobelpreis geht an "Meister des Lichts" (06.10.2009)
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Nobelpreis für Medizin geht an drei US-Forscher (05.10.2009)
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Herta Müller erhält Nobelpreis für Literatur [EinsExtra]




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