Türkei Regierungspartei wird nicht verboten
VON GERD HÖHLER
Recep Tayyip Erdogan (Foto: dpa)
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan kann weiter regieren. Das Verfassungsgericht in Ankara wies am Mittwoch den Antrag des Generalstaatsanwalts Abdurrahman Yalcinkaya, Erdogans islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) zu verbieten, zurück. Gerichtspräsident Hasim Kilic gab die Entscheidung am Abend bekannt.Bei der entscheidenden Abstimmung votierten zwar sechs der elf Verfassungsrichter für ein Verbot. Damit wurde aber die für einen solchen Beschluss erforderliche Mehrheit von mindestens sieben Stimmen knapp verfehlt. Das elfköpfige Richtergremium hatte über das Urteil seit Montag insgesamt rund 33 Stunden lang beraten.
Die Anklage habe keine hinreichenden Beweise erbringen können, dass die Partei gegen die Verfassung verstoßen habe, sagte Kilic. Die AKP muss aber staatliche Wahlkampfhilfen zurückzahlen. Um welchen Betrag es dabei geht, war zunächst nicht klar.Verfassungsgerichtspräsident Kilic sagte, dies sei "eine ernste Warnung" an die AKP. "Ich hoffe, sie wird die nötigen Lehren daraus ziehen", mahnte Kilic. Eine ausführliche Urteilsbegründung wird erst in den nächsten erwartet. Auch mit seinem Antrag, 71 führenden AKP-Funktionären, unter ihnen Staatspräsident Abdullah Gül und Premier Erdogan, für fünf Jahre jede parteipolitische Betätigung zu untersagen, konnte sich der Ankläger nicht durchsetzen.
Konflikt schwelt seit AKP-Wahlsieg im November 2002Das Mitte März mit der Anklage des Generalstaatsanwalts in Gang gesetzte Verbotsverfahren war der bisherige Höhepunkt eines erbitterten Machtkampfes zwischen den religiös geprägten, aber zugleich reformorientierten und pro-europäischen Kräften um Ministerpräsident Erdogan auf der einen und der kemalistischen Elite sowie den Militärs auf der anderen Seite.Der Konflikt schwelte seit dem ersten Wahlsieg der AKP im November 2002. Die erst 15 Monate zuvor gegründete AKP wurde damals mit 34 Prozent der Wählerstimmen stärkste Partei und gewann die absolute Mehrheit der Mandate. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom Juli 2007 erzielte Erdogans Partei sogar fast 47 Prozent, den höchsten Stimmenanteil für eine türkische Partei seit vier Jahrzehnten.
Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts kann die Regierung zwar einen Erfolg verbuchen, mit dem die meisten Beobachter noch vor wenigen Tagen gar nicht gerechnet hatten. Der Konflikt um den es geht, dürfte aber weiter schwelen und könnte schon bei nächster Gelegenheit wieder aufbrechen. Vor allem die mächtigen Militärs, die sich als Erben Atatürks und als Wächter über die weltliche Verfassungsordnung verstehen, werden weiterhin jeden Schritt der AKP misstrauisch verfolgen.Das türkische Militär hat seit 1960 bereits vier gewählte Regierungen abgesetzt. Beobachter meinen, die Generäle würden nicht zögern erneut einzugreifen, wenn sie die Trennung von Staat und Religion in Gefahr sehen. Erdogan dürfte deshalb zumindest in den kommenden Monaten alles daransetzen, den Konflikt zu entschärfen. Kontroverse Themen wie das Kopftuchverbot wird der türkische Premier wohl auf absehbare Zukunft tunlichst meiden.
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