Eine Frau mit einer Mission
An Selbstbewusstsein mangelt es der kleinen Frau nicht. „Ich dachte immer, dieses naive Volk muss von jemandem geführt werden“, erklärt Rebiya Kadeer. Während sie von ihrer Mission berichtet, verfällt sie ins Schwärmen über die Mentalität ihres Volkes.
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Engagiert kämpft sie für die Rechte ihres Volkes – Rebiya Kadeer im April dieses Jahres bei einer Pressekonferenz in Berlin.
„Wir Uiguren erinnern uns an unsere Geschichte mit Tänzen und Musik“, sagt die heute 60-Jährige. Sie reibt ihre Hände aneinander. „Jeder Kummer wird bei uns durch Lieder zum Ausdruck gebracht.“ Kummer um ihr Volk kennt die Frau genug. Nicht erst, seit sie vor zwei Jahren zur Präsidentin des Weltkongresses der Uiguren, einem Zusammenschluss von Exilgruppen, gekürt wurde. Seit der Eingliederung ihrer Region in das kommunistische China 1949 – Kadeer war zu diesem Zeitpunkt gerade ein Jahr alt – lebt die Bevölkerung Ostturkestans unter chinesischer Herrschaft. Seither kämpfen die Uiguren in dem offiziell „Autonome Uigurische Region Xinjiang“ genannten Gebiet um ihre Rechte. Ihre Zahl wird auf acht bis 20 Millionen Menschen geschätzt.
„Kultureller Völkermord“
Kadeer, die inzwischen dreimal für den Friedensnobelpreis nominiert wurde, ist unentwegt für ihr Volk unterwegs. Gerade kurz vor den Olympischen Spielen will sie auf das Schicksal ihres Volkes aufmerksam zu machen, kritisiert massive Umsiedlungen, Hinrichtungen und die Unterdrückung ihres Volkes. Mitunter wählt sie dabei drastische Worte, spricht vom „kulturellen Völkermord“. Kadeer wirkt unscheinbar, in sich gekehrt, aber hoch konzentriert, um dann mit klaren Worten und weit ausladenden, zackigen Gesten ihr Anliegen immer wieder zu wiederholen.
Mit 29 Jahren, erzählt sie, habe sie angefangen, sich für die Uiguren einzusetzen. Damals ist sie schon geschieden. Es ist vor allem das Unrecht, das sie und ihre Familie und Freunde am eigenen Leib erlebt haben, das sie aktiviert. „Ich habe nie gesehen, dass meine Eltern gelacht haben“, sagt sie. Als sie von der Vertreibung ihrer Familie erzählt, laufen ihr dicke Tränen über die Wangen. „Sie waren immer ängstlich.“
Wenige Minuten später hat sie ihr gefasstes Lächeln wieder. Die Mutter von elf Kindern ist, was für eine Frau in der vom Islam geprägten uigurischen Gesellschaft untypisch ist, millionenschwere Unternehmerin. In einfachen Verhältnissen geboren, gründete sie nach ihrer Scheidung eine Wäscherei, profilierte sich später als Textilhändlerin, schließlich baute sie ein eigenes Kaufhaus auf. „Ich brauchte Geld, um für mein Volk etwas zu tun“, sagt sie. „Für mich spielt Gerechtigkeit eine große Rolle.“ Wichtig ist für sie auch ihr muslimischer Glaube. „Für mich ist die Beziehung zwischen Gott und der Welt von großer Bedeutung.“ Das „Leid der Uiguren“, sagt sie, habe sie schon von Kindheit an tief getroffen.
Heute lebt die 60-Jährige mit ihrem zweiten Mann im US- amerikanischen Exil. Fünf Jahre saß sie selbst in chinesischer Haft. Als Abgeordnete im chinesischen Parlament hatte sie öffentlich die Lebenssituation ihres Volkes angeprangert. Schließlich wurde sie all ihrer Ämter enthoben und 1993 wegen angeblichen Geheimnisverrats verhaftet. Dass sie, die die chinesische Regierung zur „Staatsfeindin Nummer 1“ erklärt hat, auch in den USA nicht mundtot zu machen ist, rächt sich an ihren in China lebenden Kindern. Zwei ihrer Söhne wurden im November 2006 zu langen Haftstrafen verurteilt.
Mutter der Uiguren genannt
„Ich kenne keine Müdigkeit“, beteuert die Gründerin der 1000-Mütterbewegung, die Frauen beim Aufbau einer eigenen Existenz helfen soll. Ihre Haare, am Morgen noch zu strengen Zöpfen geflochten, fallen jetzt in einzelnen grauen Strähnen unter der schwarzen bestickten Samtkappe hervor. „Mein Volk hat mich Mutter der Uiguren genannt“, sagt Kadeer stolz. Und so, als wundere sie sich über die Nachfrage, fügt sie hinzu. „Und das bin ich auch.“
Stichwort Olympische Fackel
Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hat in China eine der heikelsten Etappen des olympischen Fackellaufs begonnen. Er begann gestern in der von den Uiguren bewohnten westlichen Provinz Xinjiang in der Regionalhauptstadt Urumqi mit einem Zwölf-Kilometer-Lauf . Die Etappen durch die Uiguren-Region und durch Tibet mit ihren schwelenden ethnischen Konflikten gelten als die brisantesten Abschnitte des olympischen Fackellaufs. Die Etappe durch die Uigurenregion war überraschend kurzfristig um eine Woche vorverlegt worden. Sie soll drei Tage dauern und durch vier Städte führen. Am Samstag soll nach Angaben chinesischer Staatsmedien die Etappe durch Tibet beginnen.