Fackellauf im Land der Uiguren
-Pekings Olympia-Propaganda erreicht die Region der muslimischen Minderheit
Das Olympische Feuer macht auch vor Chinas Unruheprovinzen nicht Halt. Doch die Propaganda verpufft: In Xinjiang, wo die muslimische Minderheit der Uiguren lebt, wird der Fackel- zum Spießrutenlauf.
Folklore und Militär als Garnitur zum Fackellauf durch die Unruheprovinz Uyghurien. Foto: AP Mohammed Mae sitzt vor seiner Haustür in der Norerbuxi-Gasse im Altstadtzentrum von Kashgar und starrt ins Leere. Normalerweise herrscht buntes Treiben in den kleinen Läden und Restaurants der Gasse, erklärt der Uigure, ein Angehöriger der größten muslimischen Minderheit Chinas. Doch nun haben alle Besitzer ihre Rollläden heruntergelassen. So will es die Stadtregierung: Sicherheitsmaßnahmen für den reibungslosen Lauf des heutigen olympischen Fackellaufs. "Wir dürfen morgen nicht aus den Häusern gehen", sagt der Mittdreißiger Mae mit glänzendem Schnurrbart, "und die Regierung hat uns verboten mit Ausländern zu sprechen." In der Altstadt von Kashgar wohnen überwiegend Uiguren. Missmutig ziehen Männer mit rechteckigen traditionell-bestickten Kappen vor teils verschleierten Frauen in langen Gewändern durch die Gasse. Der Zugang zur Id Kah Moschee, der größten in China, ist mit einem blau-weißen Band abgesperrt. Wer den dort patroullierenden Sicherheitskräften zu nahe kommt, wird angeblafft. Auf dem Vorplatz der Moschee startet der Fackellauf. Und keiner soll ihn stören. Alte Uiguren starren die jungen Polizisten fassungslos an.
Für Peking gleicht der Zug des olympischen Feuers durch Kashgar einem Spießrutenlauf. Ähnlich wie in Tibet schwelt auch in der autonomen Region Xinjiang der Kampf um Unabhängigkeit. Protestaktivitäten zum Fackellauf will China hier unbedingt verhindern. Die heutige Station Kashgar, ehemals zentraler Handelsstützpunkt der Seidenstraße, liegt im Süden Xinjiangs am Rande der Taklamakan-Wüste. Hier sind die muslimischen Minoritäten, allen voran die Uiguren, in der Mehrheit. In Kashgar sind nur knapp 10 Prozent der knapp über 200 000 Bewohner Han-Chinesen. Ihrer Loyalität kann sich Peking sicher sein. Die Uiguren gelten aus chinesischer Sicht als potenzielle Aktivisten und Sympathisanten für einen unabhängigen Staat namens "Ostturkistan" auf dem Territorium Xinjiangs. Sie berufen sich auf eine längere historische und kulturelle Vorherrschaft von Turkvölkern in der Region.
Chinas Angst vor Unabhängigkeitsaktivisten ist nicht unbegründet. Seit Anfang der 1990er Jahre erschütterten eine Reihe von Bombenanschlägen das Land. 160 Menschen sind dabei nach offiziellen Angaben ums Leben gekommen. 2007 deckte die chinesische Führung nach eigenen Aussagen ein Trainingslager in Xinjiang mit Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Kaida auf. Im Zuge der Olympischen Spiele bezeichnete der Generalsekretär von Interpol, Ronald Noble, terroristische Anschläge als "reale Möglichkeit". Doch Peking verhaftet unter dem Deckmantel des Anti-Terror-Kampfes auch friedlich protestierende Uiguren per Generalverdacht. Die jüngsten Proteste im März in Kashgars Nachbarstadt Hetian entzündeten sich an konkretem Machtmissbrauch - Tod eines uigurischen Geschäftsmanns in Polizeihaft - und an einem Verbot des Schleiertragens. Die Umstände, unter denen China im April mutmaßliche Terroristen festnahm, die mit einem entführten Flugzeug nach Peking fliegen wollten, sind bis heute unklar. Abgesehen vom verschärften Vorgehen der Sicherheitskräfte versucht China den Widerstandsgeist der Uiguren seit Jahren mit einer gezielten Siedlungspolitik auszuhebeln.
In Urumqi, der Hauptstadt der autonomen Region Xinjiang, wohnen rund 80 Prozent Chinesen. Der gestrige Fackellauf verlief ganz nach den Wünschen der Regierung, nämlich ohne Zwischenfälle. Er führte allerdings nicht durch die mehrheitlich uigurische Altstadt, sondern allein durch die chinesische Neustadt. Aus Sicherheitsgründen hatte auch hier die Stadtregierung spontanes Zuschauen am Straßenrand untersagt. Nur von den jeweiligen Arbeitseinheiten und Firmen organisierte Teilnehmer durften den Fackelzug durch die 1,5 Millionen Metropole bejubeln. Das städtische Krankenhaus schickte eine rund 200-köpfige Abordnung an den mittleren Streckenabschnitt, einem Verkehrskreis unweit Zentrums. "Los gehts China, los gehts Olympische Spiele", schreit der 30-jährige Arzt Chen Xiaobing und schmeckt eine riesige chinesische Flagge, als sich die Fackel nähert. Seine Kollegen schreien es im Chor nach und winken mit kleinen Fähnchen. Daneben steht eine Delegation des Militärs und gegenüber Arbeiter in blauen Uniformen. Alle machen das Gleiche.
Schön, dass die Stimmung so gut gewesen sei, meint Chen, nachdem die olympische Fackel an ihm und seinen Kollegen vorbeigezogen ist. "Denn hier in Xinjiang ist schon alles sehr strikt organisiert", fügt der Arzt im weißen Kittel fast entschuldigend hinzu. Dann treten er und seine Kollegen den geordneten Rückzug an. Die Straßen sind fast leer, als einige Militärlaster durch die Stadt rollen. "Die Partei leitet, ihr hört" und "Nieder mit dem ethnischen Separatismus" steht auf roten Bannern, die quer über die Fahrzeugseiten gespannt sind. In Kashgar sind Ordnungspatrouillien in Tarnfleck-Uniformen an der Kreuzung Norerbuixi Gasse und der Seman-Straße postiert.
Banden mit olympischen Plakaten und Slogans stehen entlang der gesamten Straße. Neben dem Plakat "Grüne Olympiade, harmonisches Kashgar" hängt direkt eines mit "Alle Ethnien reichen sich die Hände, um vereint die Olympischen Spiele willkommen zu heißen". Auf den Stufen vor den geschlossenen Kaufhäusern sitzen Uiguren . Sie warten. Auch hier herrscht Sprachlosigkeit und Missmut. Der Uigure Mae seufzt und schüttelt den Kopf. "Olympische Spiele haben doch auch für etwas mit Leben und Freude zu tun", sagt er. "Warum vertraut die Regierung uns denn nicht?" Auch wenn der Fackellauf in Kashgar reibungslos verläuft: Den fröhlichen, offenen Geist der Spiele hat Peking hier in Xinjiang einmal mehr erheblich gedämpft.
KRISTIN KUPFER
Von:http://www.suedwest-aktiv.de/landundwelt/im_brennpunkt/3649580/artikel.php
Samstag, 28. Juni 2008
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