Sonntag, 29. Juni 2008

760 Uiguren aus politischen Gründen im Frühjahr 2008 festgenommen
Neue Verhaftungswelle in Uyghurien

Mindestens 760 Uiguren wurden seit dem 23. März 2008 aus politischen Gründen in der Autonomen Region Xinjiang (Ostturkestan) sowie in anderen Provinzen Chinas verhaftet (Stand 21. April 2008). Die weltweit kaum beachteten Festnahmen stehen nicht in direktem Zusammenhang mit den Unruhen im benachbarten Tibet, sind aber Ausdruck der Politik der "eisernen Faust", mit der Chinas Sicherheitsbehörden in Ostturkestan regieren.

Auslöser der Verhaftungswelle war der Tod eines im Januar 2008 festgenommenen angesehenen uigurischen Jade-Händlers, der in chinesischer Haft vermutlich an den Folgen von Misshandlungen starb. Der wohlhabende Geschäftsmann Mutellip Hajim war verhaftet worden, weil er Familien inhaftierter politischer Gefangener finanziell unterstützt haben soll. Als der Leichnam des 38 Jahre alten Vaters von acht Kindern am 3. März seinen Angehörigen übergeben wurde, erklärten die Behörden, er sei an Herzversagen gestorben. Zugleich wiesen sie die Angehörigen an, ihn sofort zu bestatten und Stillschweigen über seinen Tod zu bewahren.

Folter ist in den chinesischen Gefängnissen ungeachtet der 1987 von der Volksrepublik China unterzeichneten Anti-Folter Konvention noch immer weit verbreitet. Allein in Tibet wurden seither 89 Todesfälle nach Folter in Haft namentlich dokumentiert. Nach dem Foltertod von Gefangenen werden die Angehörigen regelmäßig angewiesen, die Todesursache zu verheimlichen.

Nachdem sich die Nachricht vom Tod des wohlhabenden Händlers in seiner im Süden Ostturkestans gelegenen Heimatstadt Hotan (chinesisch:Hetian) verbreitete, formierte sich am 23. März ein Protestzug von rund 1000 Uiguren. Es waren vor allem Frauen, die ein Ende der Folter in Chinas Gefängnissen forderten, mehr Autonomie für Ostturkestan verlangten und sich gegen ein geplantes Verbot des Tragens von Schleiern wandten. Nach bislang unbestätigten Berichten sollen sechs Personen bei der Niederschlagung der Proteste getötet worden sein. Ungefähr 600 Demonstranten wurden festgenommen. Nach den Demonstrationen wurde in der Region eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.


Demonstranten werden als "Separatisten" oder "Terroristen" kriminalisiert

Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Jiang Yu, machte für die Demonstration der Frauen in Hotan die "drei bösen Kräfte" verantwortlich. Mit dieser Formulierung umschreiben die Behörden regelmäßig Separatismus, religiösen Extremismus und Terrorismus. Egal welche verfassungsmäßig oder durch nationale Gesetze garantierten Rechte von Uiguren in friedlichen Demonstrationen eingefordert werden, so werden die Demonstranten von den chinesischen Behörden als "Separatisten" oder "Terroristen" unter Anwendung von Höchststrafen kriminalisiert.

Der Vorsitzende der Autonomen Region Xinjiang, Nur Bekri, hatte noch am 8. März 2008 im Nationalen Volkskongress in Peking bekräftigt: "Wir werden niemals nachlassen in unserem Kampf gegen diese drei bösen Kräfte….Wir sollten jederzeit alarmbereit sein, um jeden Versuch im Keim zu ersticken, mit dem die Entwicklung und Stabilität Xinjiangs gefährdet werden soll"(AFP, 8.3.2008). Zhou Yongkang, Mitglied des Ständigen Komitees des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas und somit ein führender Parteivertreter aus Peking, hatte die Parteiführung in Xinjiang bei einer Rundreise durch die Region am 27. Januar 2008 noch zu größter Wachsamkeit gegenüber Separatismus, Infiltration und Sabotage aufgefordert. Denn "die Entwicklung und Stabilität Xinjiangs ist wichtig für die Entwicklung und Stabilität von ganz China", erklärte Yongkang (People’s Daily, 28.1.2008). Tatsächlich verstärkt Peking seine Verfolgung der Uiguren seit Xinjiang im Jahr 2007 erstmals der bedeutendste Erdöl- und Erdgaslieferant von Chinas Industrie wurde.


Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Uiguren

Hotelangestellte wurden nach den Demonstrationen in Hotan angewiesen, Uiguren zu melden, die sich als Übernachtungsgäste anmeldeten. Dies ist eine gängige Praxis von Chinas Sicherheitsapparat auch in anderen Regionen des Landes, um die Bewegungsfreiheit von Uiguren einzuschränken. Um Proteste in anderen Provinzen der Volksrepublik zu verhindern, wurde die Ausweispapiere von Dutzenden Uiguren im Vorfeld der Olympischen Spiele eingezogen, so dass sie sich nicht mehr innerhalb Chinas bewegen können. Auch in dem nahe Hotan gelegenen Bezirk Qaraqash wurden Proteste von Uiguren von Sicherheitskräften niedergeschlagen.


Weitere Proteste in anderen Städten Ostturkestans

Auch in der im Westen Ostturkestans gelegenen Stadt Kashgar (chinesisch: Kashi) wurden Ende März 2008 im Vorfeld der Olympiade 70 Uiguren festgenommen. In der Stadt ist die Nervosität der Behörden besonders groß, da der Olympische Fackellauf am 26. Juni auch Kashgar erreichen soll und Proteste von Uiguren von den Sicherheitskräften erwartet werden.

Weitere Festnahmen ereigneten sich in der im Norden Ostturkestans gelegenen Stadt Gulja (chinesisch: Yining). Nach der Verhaftung von 40 Uiguren in der Stadt und den umliegenden Orten Yengiyer, Almutiyar, wurde am 30. März 2008 eine Ausgangssperre verhängt. Die Personen wurden nach umfangreichen Hausdurchsuchungen festgenommen und beschuldigt, illegal Waffen zu besitzen und Anschläge vorzubereiten. So wurden in Yengiyer die Häuser von fünf uigurischen Brüdern durchsucht. In Almutiyar wurden 17 Jugendliche verhaftet, die an einem Treffen einer sozialen Bewegung der Uiguren teilnahmen.

In der Stadt Gulja waren am 5. Februar 1997 mehr als 100 uigurische Demonstranten einem Massaker chinesischer Sicherheitskräfte zum Opfer gefallen. Bis heute wurden die chinesischen Verantwortlichen dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Hingegen verbüßen noch immer mehrere Dutzend Uiguren wegen ihrer Teilnahme an den Demonstrationen Haftstrafen. Seit diesem Massaker wurden mehr als 700 Uiguren aus politischen Gründen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Keine andere ethnische Gruppe oder politische Oppositionsbewegung hat so viele Opfer staatlicher Gewalt zu beklagen.


Uiguren werden auch in anderen Regionen Chinas verfolgt

Die Verfolgung dieser muslimischen Bevölkerungsgruppe beschränkt sich nicht


auf die Region Xinjiang. So wurden in der in Zentralchina gelegenen Provinz Henan Ende März 2008 nach Angaben chinesischer Behördenvertreter 50 Uiguren in der Stadt Shifosi festgenommen. In der Stadt lebt eine größere Zahl Uiguren, unter anderem viele Jade-Händler.

Mit dieser neuen Verhaftungswelle macht die Kommunistische Partei in Xinjiang ihre Warnung wahr, mit allen Mitteln uigurische Kritiker mundtot zu machen. So hatte der lokale Parteichef Wang Lequan am 9. März 2008 in einem Fernsehinterview erklärt: "Egal welcher Nationalität die Person ist oder um wen es sich handelt, Saboteure, Separatisten und Terroristen werden von uns zerschmettert."(Xinhua, 9.3.2008)

Von:
http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=1332&highlight=uigure%20&PHPSESSID=843876c07f80d4b3b50e5922b9df44da

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