Spielball der Politik
Das Schicksal von Uiguren, die in Guantanamo inhaftiert sind
Mahnwache gegen die Unterdrückung von Uiguren in China © dpa
Im US-Gefangenenlager in Guantanamo sind seit Jahren auch völlig unschuldige Menschen eingesperrt. Sie haben keine Chance auf einen rechtsstaatlichen Prozess. Bei offiziellen Führungen bekommt sie niemand zu Gesicht. Nur manchmal schreien sie ihre Verzweiflung heraus.
"Entschuldigen Sie", schreit ein Häftling. "US-Amerikanische Truppen haben mich hierher nach Guantanamo gebracht. Warum haben sie mich hier ins Taliban-Gefängnis gebracht? Warum halten sie mich hier bis heute fest? Fragen Sie nach Gerechtigkeit, fragen Sie nach meiner Situation. Bitte, wenn Sie nach Gerechtigkeit fragen, fragen Sie nach Beweisen."
Unschuldig festgehalten - Albtraum ohne Ende
Adel Abdul Hakim
Adel Abdul Hakim kennt diese Verzweiflung: Auch er wurde unschuldig in Guantanamo festgehalten - vier endlose Jahre lang. Für den 33-jährigen Uiguren war das ein Albtraum. Erst wurde er zum Spielball der Weltgeschichte, dann der großen Politik. Jetzt ist er in Stockholm gelandet, für ihn ist das noch ein Glück. Denn 16 andere Uiguren, die mit ihm verhaftet wurden, sitzen noch immer in Guantanamo, obwohl das US-Verteidigungsministerium längst eingeräumt hat, auch sie könnten gehen. Seit 2005 wissen die US-Behörden, dass Wanderarbeiter wie Adel unschuldig sind. Doch in die USA darf kein Guantanamo-Häftling einreisen. Sie könnten frei sein, wenn ein anderes Land bereit wäre, sie aufzunehmen.
Deutschland könnte so ein Land sein, denn in München lebt mit 500 Mitgliedern die größte und älteste uigurische Gemeinde in ganz Europa. Die Menschen sind gut integriert, es gibt zwölf uigurische Betriebe. Die meisten Kinder besuchen das Gymnasium. In München ist auch der Sitz der uigurischen Exilorganisationen. Und die haben angeboten, sich um die 16 unschuldig Inhaftierten zu kümmern. "Die Uiguren würden den deutschen Staat nichts kosten, und deutsche Steuerzahler sollen beruhigt sein, weil die uigurische Gemeinde sie aufnimmt und auch für ihre Kosten aufkommt", so Asgar Can von der Uigurischen Gemeinde in München.
Doch entsprechende Anfragen, auch der US-Behörden, hat die Bundesregierung abgelehnt. Vor allem Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier will die chinesische Regierung nicht verärgern. Für China sind Adel und seine Schicksalsgenossen weiter Terroristen. Die Uiguren leben als muslimische Minderheit im Nordwesten Chinas. Seit ihr Land von der Volksrepublik annektiert wurde, gärt es unter der beschaulichen Oberfläche. Die meisten der 16 Millionen Uiguren fühlen sich von der chinesischen Zentral-Regierung unterdrückt und streben nach Unabhängigkeit. Die chinesische Polizei geht dagegen mit äußerster Härte vor. Doch das geschieht im Verborgenen. Viele Uiguren sind bereits ausgewandert, weil sie wie Adel immer wieder verhaftet wurden.
Adel Abdul Hakim: Verraten und verkauft
"Immer wieder wurde ich bei den Verhaftungen mit Elektroschocks gefoltert", sagt Adel Abdul Hakim. "Im Gefängnis habe ich begriffen, dass die chinesischen Behörden mich nie mehr in Ruhe lassen werden, obwohl ich nur einmal an einer verbotenen Demonstration teilgenommen hatte. Für mich war in meinem Land kein normales Leben mehr möglich. Da habe ich angefangen, meine Flucht zu planen." Adels Flucht begann in seiner Heimatstadt Gulja. Er reiste über Kirgisien und Pakistan nach Afghanistan, immer auf der Suche nach Arbeit. In Afghanistan traf er andere Uiguren und arbeitete mit ihnen in einem Dorf. Die US-Amerikaner hielten das Dorf für einen El-Kaida Stützpunkt und bombardierten es. Adel flüchtete mit den anderen zurück nach Pakistan.
"Als Afghanistan bombardiert wurde, sind wir über die Berge nach Pakistan geflohen", berichtet Adel Abdul Hakim. "Dort haben uns die Menschen empfangen und gesagt, wir begleiten euch dahin, wohin ihr möchtet, und damit haben sie uns reingelegt. Nach einigen Tagen haben sie uns an die pakistanische Armee übergeben." Die Pakistaner verkauften die Uiguren für je 5000 Dollar Kopfgeld an die US-Armee, und die brachte sie nach Guantanamo. Dort verschwanden sie für viele Jahre in 1,70 Meter langen Käfigen. Adels Frau und seine drei Kinder dachten jahrelang, er wäre tot. Es dauerte vier Jahre, bis die US-Amerikaner zugaben, die Falschen eingesperrt zu haben. Doch weil ihnen in China Verhaftung und Folter drohen, und die USA ja strikt ablehnten, sie einreisen zu lassen, baten sie andere Länder. Nur Albanien, eines der ärmsten Länder Europas, war bereit, fünf von ihnen aufzunehmen - trotz heftiger chinesischer Proteste.
Seema Saifee, Anwältin der Uiguren in Guantanamo
Adel hatte das Glück, einer von ihnen zu sein. Inzwischen ist er weiter nach Schweden gereist, zur Familie seiner Schwester. Die anderen 16 Uiguren sitzen weiter in Guantanamo - seit nunmehr sechseinhalb Jahren unter schwierigsten Haftbedingungen. "Man hat eine Vorstellung davon, was Guantanamo ist, bevor man dorthin kommt", sagt Seema Saifee, Anwältin der Uiguren in Guantanamo. "Aber es ist nichts gegen das, was man dann tatsächlich erlebt: Man kann buchstäblich die Verzweiflung auf dem Gesicht seiner Mandanten sehen, an ihren Gesichtern ablesen, dass sie sechs Jahre eingesperrt sind. Im Moment werden die Uiguren in Isolationshaft gehalten. 22 Stunden am Tag, in der sie praktisch keine Möglichkeit haben, miteinander zu kommunizieren."
Steinmeier: Rücksicht gegenüber China
Steinmeier ist die Rücksicht gegenüber China offenbar wichtiger. Der Außenminister achtet stets darauf, die wirtschaftliche Großmacht China nicht zu verprellen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung sieht das anders. Günter Nooke, CDU, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, sagt: "Ich plädiere ganz klar dafür, diesen unschuldigen Menschen zu helfen und sich hier auch über die chinesischen Bedenken hinwegzusetzen. Das wäre auch ein Zeichen, dass wir uns ganz praktisch um Dinge kümmern, wenn es um Menschenrechtspolitik geht."
Bundesaußenminister Steinmeier lehnt ein Fernseh-Interview dazu ab. Eine schriftliche Anfrage lässt er vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung beantworten. Für die Aufnahme der Guantanamo-Uiguren fühlt man sich nicht zuständig.
"Soweit eine Aufnahme in den Heimatländern der Betroffenen nicht in Betracht kommt, wie dies bei den Uiguren der Fall ist, liegt die humanitäre Verantwortung für die Lösung der durch die Inhaftierung der Personen entstandenen Situation bei den USA."(Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)
SPD-Bundestagsfraktion: "Keine glaubwürdige Perspektive"
Christoph Strässer, SPD-Bundestagsfraktion für Menschenrechte
Eine solche Haltung stößt selbst in Steinmeiers eigener Partei auf Unverständnis. Christoph Strässer ist Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Menschenrechte. Er sagt: "Es kann nicht sein, dass die ganze Welt fordert, Guantanamo muss geschlossen werden, und sich dann die ganze Welt weiterhin weigert, den Menschen, die unschuldig dort sitzen, bekanntermaßen, erkanntermaßen unschuldig, die Aufnahme zu verweigern.
Das kann keine glaubwürdige und dauerhafte Perspektive sein." "Wenn China erst einmal das Gefühl hat, dass es anderen Regierungen ihre politischen Entscheidungen diktieren kann, in dem es moralische Werte und internationale Menschenrechtsstandards untergräbt, dann sind wir wirklich am Ende angekommen", sagt Lotte Leicht von "Human Rights Watch". "Das ist etwas, dem sollte jeder Politiker, der in der Verantwortung steht, widerstehen. Man darf Menschenrechte nicht auf dem Altar möglicher finanzieller Geschäfte mit einem großem Partner wie China opfern."
Für Adel ist es fast unerträglich, dass er frei ist und seine Landsleute immer noch unschuldig in den Guantanamo-Zellen sitzen. Als der chinesische Geheimdienst die Uiguren in Guantanamo vernommen hatte, hatte Adel es schon geahnt. "Damals haben die Chinesen es schon zu uns gesagt", so Adel Abdul Hakim. "Die waren sich ihrer Sache ziemlich sicher, dass die Uiguren ganz lange in Guantanamo bleiben werden. Denn sie hatten zu uns gesagt: 'Entweder wir nehmen euch jetzt mit, oder ihr bleibt so lange hier, bis ihr verfault'."
Anmerkung: Sämtliche Interview-Zitate wurden von der Redaktion übersetzt.
Von:http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/122374/index.html
Samstag, 28. Juni 2008
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